Ausflug nach Saillon – beinahe wie in Castaway Hill
Adrian Böhlen
Publiziert am 09.12.2017 , überarbeitet und ergänzt am 23.01.2022
Version 1.3 vom 19.12.2024
Einleitung und Geschichte
«Die Gegend, die Enid Blyton vor Augen hatte» – sie begegnet einem manchmal auch dort, wo man es nicht unbedingt erwarten würde. So ist es mir am Ostersonntag, dem 16. April 2017 im Wallis ergangen, als ich das Städtchen Saillon besuchte und es mir vorkam, mitten in der Erzählung Five go to Smugglers Top gelandet zu sein. Zu diesem Ausflug nachfolgend einige Gedanken:
Den meisten Touristen fällt zum Namen Saillon wohl primär Les Bains de Saillon ein, die grosse Bäderanlage, umgeben von einem ausgedehnten Siedlungsgürtel, der sich leider – wie vielerorts in der Schweiz – weit in die Ebene hinaus ausgedehnt hat. Ebenso ist vielleicht dem einen oder anderen der Marmor von Saillon ein Begriff, der auch fern der Heimat Verwendung fand, so etwa im Dom zu Aachen . Hier soll es aber um den historischen Ortskern gehen, denn das alte Saillon ist ein Städtchen, welches auf einem dem Gebirge vorgelagerten Felsrücken gelegen ist. Ursprünglich war die Ebene zu seinen Füssen weitläufiges Sumpfgebiet und wenn man sich dies vor Augen führt, wird klar, warum die Gründer ihren Ort nicht dort unten angelegt hatten. Man kann sich beim Blick auf die Karte (siehe Abb. 1 und 2) gut vorstellen, dass die Sümpfe im Wallis vor 100 Jahren unwegsam und wohl auch unheimlich waren, vor allem, wenn nach Regentagen dichte Nebel alles einhüllten. Enid Blyton beschreibt, wie es ausgesehen haben könnte:
Mists were wreathing and swirling over the […] marshes. It was a weird place, cold and damp. None of the children liked it.
Um 1970 sehen wir auf der Karte (siehe Abb. 3), dass die Ebene inzwischen entsumpft und mehrheitlich mit Obstbäumen bepflanzt ist. Es wurde also in der Zwischenzeit genau das umgesetzt, was Mr. Lenoir und Prof. Kirrin in ihrem «March Draining Plan» vorhatten und was Mr. Barling energisch bekämpft hatte. Die Beschreibung im (REKA) Ferienbuch der Schweiz stammt aus dieser Epoche:
Guterhaltene Ringmauern geben dem Ort ein mittelalterliches Aussehen. Zu seinen Füssen dehnt sich die mit Obstbäumen übersäte Ebene aus.
Ab etwa den 1970er Jahren setzte dann der Bauboom ein und die Obstbäume auf dem trockengelegten Agrarland mussten nach und nach den neu entstehenden Siedlungen weichen. So erhielt die Gegend das Gesicht, das wir heute vorfinden. (siehe Abb. 4)
Saillon im Wandel der Zeit
Diesen Wandel, den die Gegend um Saillon im Verlauf der letzten knapp 200 Jahre erlebt hat, lässt sich gut anhand der Topographischen Karten der Schweiz dokumentieren. Die grossen Veränderungen setzten allerdings erst im Laufe des 20. Jahrhunderts ein.

Abb. 1: Topographische Karte der Schweiz 1:100’000 (Dufourkarte) von 1844
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Abb. 2: Topographischer Atlas der Schweiz 1:25’000 (Siegfriedkarte) von 1920
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Abb. 3: Landeskarte der Schweiz 1:25’000 von 1970
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Abb. 4: Landeskarte der Schweiz 1:25’000 von 2020
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Saillon heute

Abb. 5: Blick durch das Stadttor in den Ortskern von Saillon.
Eigene Aufnahme vom 16.04.2017
Das Städtchen erkundet man am besten zu Fuss. Die Anreise mit dem Car Postal entweder ab der Hauptstadt Sion oder ab Martigny ist kurzweilig und man merkt gar nicht, wie die Zeit vergeht. Statt bei den besagten Bädern auszusteigen, ist es sinnvoller, den Haltepunkt Collombeyres zu benützen, von wo man direkt über sich die eng aneinander gebauten Häuser der Altstadt erblicken kann. Auch die Reste der Stadtmauer sind gut zu erkennen. Auf einem Pfad gelangt man durch die Klippen bis zur schmalen Zufahrtsstrasse. Für den weiteren Weg lassen wir einfach Enid Blyton sprechen, es passt perfekt:
‘We go through a big archway soon,’ said the driver. ‘That used to be where the city gate once was.’ […] The road became steeper, and the driver put the engine into a lower gear. It groaned up the hill. Then it came to an archway […]. It passed through, and the children were in Castaway.
Schon ist man mitten in einer eigenen, kleinen Welt, an der an jenem Sonntagmorgen reger Betrieb herrscht, denn die Cafés und Restaurants sind geöffnet. Beim Schlendern durch den Ort fällt auf, dass die Häuser restauriert und teilweise auch modernisiert wurden und sich somit von Castaway unterscheiden, wo es heisst:
Some of the houses seemed almost tumble-down, but there were people living in them, for smoke came from the chimneys.

Abb. 6: ‘I also forbid you to do any of your dare-devil climbing, nor will I have you acting about on the city wall […].’ [said Mr. Lenoir]
Reste der Stadtmauer, von unten gesehen.
Eigene Aufnahme vom 16.04.2017
Hier wie dort findet sich aber eine Stadtmauer, bzw. Reste davon, auf der ich aber im Gegensatz zu den Kindern in der Erzählung nicht herumgeklettert bin. Ebenso gibt es wie in Castaway an der höchsten Stelle einen runden Turm. Jener im Buch ist Teil des grossen Gebäudes, welches «Smugglers Top» genannt wird. Hier steht das Tour Bayart genannte Bauwerk isoliert. Seinen Ursprung hat es im 13. Jahrhundert und war damals Teil der Ringmauer, wie übrig gebliebenes Mauerwerk noch immer verrät. Die Besteigung des 19 Meter hohen Turms ist äusserst lohnend und ein kleines Abenteuer: Über metallene Wendeltreppen und durch Gänge im Innern des Mauerwerks, wo nur durch schmale Schlitze ein wenig Licht ins Innere fällt, geht es aufwärts. Ist es stürmisch und kalt, so wie an diesem Aprilsonntag, pfeift einem dort der Wind um die Ohren, während der Turm ansonsten einen gewissen Wetterschutz bietet. Gänzlich den Elementen ausgeliefert ist man zuoberst auf der Wehrplatte, mehr als hundert Meter über der Ebene. Dort zu verweilen lohnt sich angesichts der grossartigen Aussicht aber allemal.
Gut zu sehen sind weitere, ähnliche Türme in der Umgebung, wie jene von Saxon, Martigny (La Bâtiaz) und Sion (Tourbillon). Sie alle dienten einst ein und demselben Zweck: Die Überwachung der wichtigen Transitachse durch das Rhonetal. Dabei wurde mittels optischer Signale von Turm zu Turm kommuniziert, wenn Gefahr im Anzug war.
Hier endet dieser kleine Bericht. Es wäre schön, wenn ich damit den einen oder andern motivieren kann, einen Abstecher nach Saillon einzulegen, oder den Ort gar zum Reiseziel auszuwählen.