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4  Karten

Landkarten spielen bei Enid Blyton stets eine wichtige Rolle und tauchen entsprechend oft auf. Auch in The Valley of Adventure ist das so, da Jack von Otto zwei handgezeichnete Karten ausgehändigt erhält, wie bereits erwähnt. «Offizielle» Karten der Gegend, in der sie gelandet waren, standen ihnen nicht zur Verfügung.

In Bezug auf das Valle di Nibbio lohnt es sich ebenfalls, den kartographischen Aspekt zu betrachten. Generell lässt sich sagen, dass es bis zum heutigen Tag keine präzisen Karten dieser Gegend gibt, was aber für andere Teile der italienischen Alpen genauso gilt. Gepaart mit der Situation, dass viele Wege oft nur von bescheidener Qualität oder völlig verschwunden sind, führt dies dazu, dass man sich als Bergwanderer auch heute noch vielerorts ein wenig wie ein Entdecker fühlen kann.

4.1  Historische Karten

Wie verschieden die Karten der letzten gut 200 Jahre die Gegend um Nibbio wiedergeben, sei nachstehend anhand einiger Beispiele erläutert.

Meyer-Weiss

Abb. 5: Meyer-Weiss Atlas 1:120’000 (1802)
Eigener Screenshot von https://www.landkartenarchiv.de/atlassuisse.php?q=15 vom 05.03.2023

Der Atlas Suisse, auch als Meyer-Weiss-Atlas bekannt, bildet im Massstab 1:120’000 die Region des Val Grande auf dem Kartenblatt 15 ab, welches den Titel Majeure Partie des Cantons de Bellinzona et de Lugano et les Frontieres de la Republiqe Italienne trägt und von 1802 datiert. Das Valle di Nibbio fehlt hier völlig, ebenso der namensgebende Ort am Talausgang. Hinter der Ortschaft «Cuciago» (Cuzzago) ist jedoch ein markantes Talsystem erkennbar, wobei es sich dabei um das Vallone dei Mulini handeln dürfte. 18
Woerl

Abb. 6: Karte der Schweiz von Dr. I. Woerl 1:200’000 (1835)
Eigener Screenshot von https://www.landkartenarchiv.de/kartederschweiz.php?q=17 vom 05.03.2023

Rund 30 Jahre jünger ist die Karte der Schweiz von Dr. I. Woerl im Massstab 1:200’000, wo das Blatt 17 (Bialla) das betreffende Gebiet abbildet. Trotz des etwas kleineren Massstabes ist sie detaillierter und zeigt wiederum das verästelte Vallone dei Mulini, aber östlich davon, scheinbar nur durch einen schmalen Grat getrennt, ein weiteres Tal, bei dem es sich um das Valle di Nibbio handeln muss, wie Ort «Nibio» am Talausgang verrät. 19
Stati Sardi

Abb. 7: Stati Sardi Gran Carta Foglio 16 Domodossola 1:50’000 (1850 – 1862)
Eigener Screenshot von https://archiviodistatotorino.beniculturali.it/dettaglio_fondi/?id=505849 vom 05.03.2023

Noch etwas jünger, aus den 1850er bis 1860er Jahren und mit einem Massstab von 1:50’000 weitaus besser aufgelöst, ist die Stati Sardi Gran Carta, deren Blatt 16 (Domodossola) das Gebiet des unteren Valle d’Ossola abdeckt. Die Qualität dieser Karte ist im Vergleich zu den zuvor genannten deutlich besser, so ist der noch heute begehbare Weg von Cuzzago zur Alpe Sostenna (die in späteren Karten nicht mehr erwähnt ist) klar ersichtlich, ebenso der weitere Verlauf im Abhang des Valle di Nibbio, dem heute nur noch unter grossen Schwierigkeiten zu folgen ist. Zu beachten ist, dass die strichlierten Linien hier Grenzen darstellen und die Wege stattdessen als feine, durchgezogene Linien erscheinen. 20

4.2  Neuere Karten

IGM25

Abb. 8: Carta d’Italia alla Scala 1:25’000 (um 1935)
Eigener Screenshot von http://www.pcn.minambiente.it/viewer/ vom 05.03.2023

IGM25

Abb. 9: Carta d’Italia alla Scala 1:25’000, Nachführungsinformation
Eigener Scan des Kartenblattes Novate Mezzola, 17 I S.E. vom 27.12.2023

Die eigentliche Referenz ist auch heute noch die Carta d’Italia alla Scala 1:25’000 des Istituto Geografico Militare (IGM). 21 Nach wie vor erscheint sie im Geoportal jenes Amtes, obwohl sie in den 1930er Jahren entstanden ist und nur punktuell um 1970 nachgeführt wurde. Da das Geoportal keine Nachführungsstände zeigt und gedruckte Exemplare dieser Karten nur äusserst schwer erhältlich sind, lässt sich dies aber nicht exakt belegen. Jedoch zeigen meine drei einzigen Exemplare aus der Region Novate Mezzola genau diese Angaben. Es darf davon ausgegangen werden, dass sie auch für die Karten der Region Ossola zutreffen).

Die Seite in-valgrande.it, welche die detailliertesten Beschreibungen dieser Gegend enthält, erwähnt ebenfalls die 1930er Jahre als Entstehungszeitpunkt und weist ferner darauf hin, dass die neueren IGM-Karten, die erst punktuell verfügbar und ein leichter lesbares Kartenbild aufweisen, leider die alten, aufgegebenen Wege nicht mehr zeigt. 22

Die alten IGM-Karten sind geometrisch teilweise arg verzogen, dafür äusserst detailliert, weshalb sie auch heute noch auf der Suche nach früheren Verbindungen gute Dienste leisten.

LK50

Abb. 10: Landeskarte der Schweiz 1:50’000 (1963)
Eigener Screenshot von https://map.geo.admin.ch vom 05.03.2023

Dieses Kartenwerk war auch Grundlage für die Topo- und Kartographen des Bundesamtes für Landestopografie swisstopo, welche 1963 das Kartenblatt 285 Domodossola der Landeskarte der Schweiz 1:50’000 erstellten, welches als einziges ausschliesslich italienisches Staatsgebiet zeigt, sieht man vom zwar produzierten, aber nie publizierten Kartenblatt 295 Omegna ab.

«Was auch immer ausschlaggebend gewesen sein mag, dieses Kartenblatt in ‹Top-Qualität› zu produzieren, scheint mir heute nicht mehr so wichtig. Hauptsache, es wurde überhaupt erstellt, wenigstens für ein paar abenteuerlustige Wanderer, die genug von breitgewalzten Wanderbahnen durch schattenspendende Wälder und von asphaltierten Pisten durch Wildblumenwiesen haben.» schrieb der Topograph Herbert Walker 1998. 23

Mit dieser Karte wurde der Informationsgehalt der amtlichen italienischen (Militär)Karte allgemein verfügbar. Seit dem Jahr 2000 wird sie alle paar Jahre (eingeschränkt) aktualisiert und ist inzwischen auch an das neue Erscheinungsbild der Landeskarte angepasst worden. Die Geländedarstellung mit ihren von der italienischen Vorlage geerbten Fehlern wurde aber nie verändert. Dennoch wird sie von Val Grande-Wanderern sehr geschätzt.

Michelin Karte

Abb. 11: Michelin-Karte 1:200’000
Eigener Screenshot von https://www.viamichelin.com vom 20.08.2023

Unter den zahllosen anderen Karten, die dieses Gebiet abdecken, sei hier als interessantes Beispiel noch ein Ausschnitt der Michelin-Karte im Massstab 1:200’000 erwähnt. Diese Karte gibt es sowohl in gedruckter Form wie auch auf dem Geoportal https://www.viamichelin.com. Obwohl es sich hier um eine Strassenkarte handelt, ist der Weg von Nibbio durch die Flanke des Sasso Grande und das Tal hinauf bis zum (sehr auffällig angeschriebenen) Pass Bocchetta di Valfredda eingezeichnet. Vermutlich wurde einfach davon ausgegangen, dass dies eine wichtige Verbindung sei, obwohl sie seit Jahrzehnten nicht mehr benützt wird und weit gehend zerfallen ist. 24

Anhand dieser Kartenbeispiele lässt sich die Lage und Charakterik dieses Tales nun schon recht gut erkennen. Flankiert von den Gipfeln Pizzo Proman (2098 m) und Pizzo del Lesino (1990 m), mit dem auffälligen Pass Bocchetta di Valfredda (1697 m) dazwischen, beginnt es in alpiner Höhe, deutlich über der Baumgrenze, und senkt sich auf nur rund 3 km Länge um fast 2000 Höhenmeter, wo beim Dörfchen Nibbio der abrupte Übergang in die breite Talebene des Valle d’Ossola erfolgt. Die westliche Seite präsentiert sich einigermassen gleichmässig und weist keine nennenswerten Seitentäler auf, ist aber dennoch von unzähligen, meist trockenen Gräben und Rinnen zerfurcht. Dazwischen ragen teils bizarre Felsformationen auf, von denen die Ul Frà genannte Felsnadel die bekannteste ist. Nach Osten hin fällt ein ausgeprägtes Seitental, das Val Cornera auf, das über eine hohe Felsstufe mit einem Wasserfall ins Haupttal einmündet. Die zahlreichen Berge zu beiden Seiten haben gemeinsam, dass sie alle sehr schwierig zu besteigen und entsprechend selten besucht werden. Die Bergkette östlich des Tales, Corni di Nibbio genannt, wurde angeblich erst 1984 erstmals überschritten! 25 Am zugänglichsten sind noch die beiden Gipfel des Sasso Grande (818 m und 878 m), westlich über dem Eingang des Tales gelegen, aber auch hier sorgt das steile Gelände und die üppige Vegetation für genügend Probleme.

4.3  Eigene Karte

Eigene Karte

Abb. 12: Eigene Karte 1:5500 des unteren Valle di Nibbio (V3.1 von 2024)

Zu guter Letzt darf natürlich auch eine eigene Karte nicht fehlen. Dieses Werk basiert auf verschiedenen Grundlagen und vor allem eigenen Beobachtungen und Skizzen vor Ort. Darauf wird in Kapitel 6.9 noch vertieft eingegangen. Ohne die inzwischen sehr gut aufgelösten und frei verfügbaren Orthophotos des Istituto Geografico Militare (IGM) und des Geoportale Piemonte hätte diese Karte aber nicht entstehen können. Umprojiziert ins Schweizer Koordinatensystem CH1903 LV03 mittels ESRI ArcGIS 10.8 am Bundesamt für Landestopografie swisstopo, zeigen sie die genaue Geometrie des Geländes, die eben auf den verfügbaren Karten oft verzerrt wiedergegeben wird. Für die Konstruktion des Karteninhaltes nutze ich die private Lizenz von ESRI ArcView 3.2a 26 mit der Eigenentwicklung Editor, welche ein recht komfortables Digitalisieren und auch die Integration der Beschriftung erlaubt. Die vielfältigen (wenn auch im Vergleich zu den Nachfolgern umständlich zu handhabenden) Möglichkeiten der Symbolisierung, die ArcView 3.2a bietet, erlauben zu guter Letzt die Präsentation der Daten in einem ansprechenden und gut lesbaren Kartenbild, unterstützt von der Eigenentwicklung Layout Tools.
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